Die Kriegerin – Abenteuer in der Welt der Fantasy

Giada 

Erik lief auf und ab. Er hätte am liebsten sofort die Verfolgung der Plünderer aufgenommen. Aber es waren zu viele Roks in der Nähe. Odin ließ mich wissen, dass wir bis zum Abend rasten würden. In der Dunkelheit war es dann meine Aufgabe, die Gegend auszukundschaften. Mein Kontakt zum Hund wurde immer mehr zur Gewohnheit. Inzwischen war er mir nicht einmal mehr unangenehm. Im Gegenteil: Es war ein beruhigendes Gefühl, den Gefährten notfalls auch rufen zu können. Es gefiel mir auch, tagsüber auszuruhen und nachts zu fliegen. Also kuschelte ich meinen Kopf ins Gefieder und schlief. Dabei träumte ich von Lea. Wie sie mich als Held empfing und mir endlich, nach unendlich langem Werben, in mein Nest folgte. »Los jetzt, Kauz!« Odins Befehl riss mich grob aus meinem Traum. Wütend stürzte ich mich auf den Hund und hackte ihm mit meinem Schnabel ins Ohr. Zumindest versuchte ich es. Ich flog ins Leere. Kurz vor dem Boden konnte ich mich noch abfangen. Das konnte nicht sein, kein lebendiges Wesen konnte sich so schnell bewegen! Ich war im Sturzflug, ohne Ankündigung, aus kürzester Distanz auf ihn losgegangen. Ich konnte ihn gar nicht verfehlen. 48 Odins Lefzen schienen zu einem Lächeln verzogen. Ergeben erhob ich mich in die Lüfte.

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Leas Bild verblasste so schnell, wie meine Wut verrauchte. Auf Höhe der Baumwipfel glitt ich in Richtung Plünderer. Einige Dutzend Bäume später entdeckte ich eine Horde Roks. Sie hatten ein Lager aufgeschlagen. Die meisten schliefen. Ich flog weiter. Weitere fünf Horden versperrten uns den Weg zu den Söldnern. Bei der letzten Horde ging ich tiefer. Das Lager war gut bewacht. Die Roks wirkten viel disziplinierter als die übrigen. Geräuschlos glitt ich über das Lager. Gut, dass meine Augen für die Dunkelheit gemacht waren. Noch nie hatte ich solche Mutanten gesehen: muskulös, nicht hager wie ihre Artgenossen. Geschmückt mit Menschenknochen. Die Waffen alle gepflegt. Beunruhigend. Ich hatte miterlebt, wie Erik und Odin praktisch im Vorbeigehen eine Übermacht an Roks erledigten. Diese sahen nicht so aus, als wären sie leichte Gegner. Ich hoffte, dass Odin die Szene durch meine Augen beobachten konnte. Dann erhob ich mich wieder in die Luft. Mein 49 Auftrag war, die Söldner zu finden, nicht, Roks zu beobachten. Ich brauchte zwei weitere Stunden, um sie zu finden. Sie waren immer noch unterwegs und machten keinerlei Anzeichen, ein Lager aufzuschlagen. Das würde Erik nicht gefallen. Wenn sie in dem Tempo weitermarschierten, würden wir sie die nächsten Tage nicht einholen. Schon gar nicht mit den Horden Roks zwischen uns. Ich segelte etwas tiefer, um mehr Einzelheiten zu erkennen. Da drehte sich Hajo zu mir um. »Mit dir stimmt doch was nicht«, murmelte er. Beim Sprechen zog er seine Pistole, zielte auf mich und drückte ab. Ich legte die Flügel an und ließ mich fallen. Die Kugel zupfte an meinen Schwanzfedern. Kurz vor dem Boden fing ich mich ab und flüchtete in das Dunkel des Waldes. Das war verdammt knapp. Zurück bei den Gefährten setzte ich mich auf Odins Rücken. »Mit den Roks zwischen uns haben wir keine Chance, die Plünderer in den nächsten Tagen einzuholen.« Erik wirkte verzweifelt. »Verdammt, Odin, was sollen wir tun?« Intensiv schaute Erik dem Hund in die Augen. Ich hatte das Gefühl, die Luft würde knistern. »Na gut« – Erik holte tief Luft – »legt euch 50 schlafen! Morgen nehmen wir uns die erste Horde Roks vor. Wir kämpfen uns durch sie hindurch. Sonst schaffen wir es nie, Hajo einzuholen.« Er schnappte sich eine Decke, drehte sich um und schlief. Die Nerven hätte ich auch gerne. Bei den Gedanken an morgen zitterte mein ganzes Gefieder. Schließlich schlief ich doch ein. Stolz flog ich durch Wittens Wälder. Ich hatte es geschafft. Ich war der Größte. In meinem Nest in Durchholz wartete Lea auf mich. Nur auf mich. Den Helden. Der eine ganze Familie gerettet hatte. Ich näherte mich dem Nest – mit ausgebreiteten Flügeln erwartete mich Lea. Mit vor Stolz geschwellter Brust stürzte ich mich zu ihr hinunter. »Aufwachen, du musst auskundschaften!« Grob riss mich Odins Weckruf aus dem Traum. Ich hätt’ ihm die Augen aushacken können! Verdammte Realität! Erst mal was essen. Noch etwas wackelig, erhob ich mich in die Luft. Auf die Schnelle fing ich mir eine kleine Maus. Auf halber Baumhöhe flog ich dann Richtung Roks. Wieder brauchte ich nicht lange. »Bleib da und beobachte sie!« Odins Stimme in meinem Kopf war bereits Gewohnheit. Langsam kreiste ich über den Roks. Das Lager war im Aufbruch. Völlig chaotisch. Ganz anders als bei Hajos Leuten. 51 Ich zählte fünfzehn Roks. Da kamen Erik und Odin über sie. Die Runen auf Eriks Schwert leuchteten. Odins Augen glänzten. Das Schwert forderte vier Opfer, bevor die Mutanten merkten, dass sie angegriffen wurden. Ich hatte bisher nur auf Erik geachtet. Jetzt sah ich, dass Odin schneller war. Er war mitten ins Lager gestürzt. Vier tote Roks lagen um ihn herum. Dem fünften zerfetzte er gerade die Kehle. Ich fröstelte, als ich seine Befriedigung spürte. Der ganze Kampf mit der Horde dauerte keine drei Minuten. Die Roks hatten keine Chance. »Los, weiter!« Odin drückte aufs Tempo. Ich machte mich auf, die nächste Horde zu suchen. Innerhalb von drei Tagen kämpften wir uns durch vier weitere Gruppen Roks näher an die Plünderer heran. Jetzt bewegten wir uns auf die letzte Horde, die noch zwischen uns und Hajos Leuten stand, zu. Odin hatte meine Besorgnis gefühlt. Deshalb hatten sie mich noch einmal zum Erkunden vorgeschickt. Diesmal wollte der Hund die gesamte Zeit mit mir in Kontakt bleiben. Lautlos glitt ich über die Roks. Sie waren am Marschieren. Militärisch geordnet. Die Horde 52 war klein, nur fünfzehn Mann stark. Ich war beruhigt. Mit so wenigen müssten meine Gefährten eigentlich leicht fertig werden. Ich drehte noch eine Runde. Erst jetzt sah ich sie: zwei riesige Hunde als Nachhut am Ende der Horde. Ich flog näher ran. Die zwei waren mindestens einen Meter groß. Die Körper bestanden nur aus Muskeln. Ich konnte die Reißzähne erkennen, die seitlich aus ihren Mäulern ragten. Sofort stieg ich höher, um zu meinen Gefährten zurückzufliegen. »Fiiiiiiep!!!« Vor Schmerz kreischte ich auf. Ich stürzte ab, wollte wild mit meinen Flügeln flattern. In meinem rechten Flügel steckte ein Pfeil. Es fühlte sich an, als würde mein Flügel brennen. Ich geriet in Panik. Mein Fiepen wurde immer lauter. Krachend donnerte ich in einen großen Haselnussstrauch. Äste knackten unter mir weg. Mein Kopf schlug gegen einen dicken Stein. Dunkelheit. Ruhe. Schmerzen rissen mich brutal aus der Ohnmacht. Jetzt gerade wollte ich doch kein Held sein. Ich öffnete die Augen. »Grrrrh!« Direkt unter mir umkreisten sich Odin und einer der Rokhunde. Das Monster sprang Odin an, wollte ihn un- 53 ter sich begraben. Doch der duckte sich, kam unter dem Rokhund hoch und warf ihn um. Aus derselben Bewegung drehte sich Odin über seinen Gegner und zerbiss ihm die Kehle. Schon kamen drei Roks auf Odin zu. In perfekter Kampfformation deckten sie sich gegenseitig. Odin wich zurück. Wo war Erik? Ich drehte den Kopf. Jetzt sah ich ihn. Er konnte Odin nicht helfen. Ich erkannte von seinem Schwert nur die leuchtenden Runen, so schnell schlug er auf seine Gegner ein. Aber die hielten dagegen. Geschickt griffen sie ihn immer wieder von verschiedenen Seiten an. Stumm kämpfte Erik weiter. Sein Schwert zerteilte einen Rok. Während Erik versuchte, seine Waffe freizubekommen, hieb der nächste Rok nach seinem Kopf. Erik ließ sich fallen, zog den toten Rok mit sich und benutzte ihn als Schild. Als das Schwert des Roks in seinen toten Kameraden fuhr, schlug Erik ihm die Füße ab. Schreiend ging der Rok zu Boden. Erik sprang auf und bewegte sich auf Odin zu. Das gelbe Licht war in seine Augen zurückgekehrt. Er lächelte. Die Runen im Schwert leuchteten in derselben Farbe wie seine Augen. Der zweite Rokhund sprang auf ihn zu. 54 Das Schwert wischte durch die Luft. Viergeteilt fiel die Bestie zu Boden. Erik erreichte Odin. Gemeinsam stürzten sie sich auf die Roks. Ich konnte dem Schwert nicht mit den Augen folgen. Dennoch hielten die Roks dagegen. Kurz zumindest. Als Odin einen von ihnen zu Boden warf, waren die anderen für einen Sekundenbruchteil abgelenkt. Aber das reichte. Eriks Schwert fraß sich durch die Körper der Roks. Von Odins Gegner konnte ich nur noch einen blutigen Klumpen erkennen. Erik suchte die nächsten Gegner. Diese Horde stand zwischen ihm und Hajo. Er jagte Richtung Feuer. Da brach er mitten im Sprung zusammen. Ich spürte Odins Schock in meinem ganzen Körper. Hilflos fiel ich vom Ast. Ich sah vom Boden aus, wie Erik versuchte, einen Pfeil aus seiner Schulter zu ziehen. Odin hatte sich vor ihn gestellt. Die restlichen Roks kamen. Erik kämpfte sich auf die Knie, Odin grollte. Das Leuchten in Eriks Augen wurde zum Glühen. Ich konnte seine Wut bis zu mir spüren. Mit einem Keuchen kam er auf die Füße. Die Roks zögerten. »Aiiih!« Ein heller Kampfschrei schallte über die Lichtung. Flatternd versuchte ich, mich aufzurichten. 55 Die Schmerzen drohten, mich zu überwältigen. Nur noch verschleiert sah ich, wie den Roks die Köpfe abgeschlagen wurden. Sie waren völlig überrascht. Ihre bis dahin präzise Schlachtordnung geriet komplett durcheinander. Erik hatte den Vorteil erkannt und stürzte sich mit zusammengebissenen Zähnen in die Schlacht. Erkennen konnte ich nichts mehr. Ich hörte nur das leise Singen der Kriegerin, die Erik gerettet hatte. Sie sang während des Kämpfens. Mit diesem Gedanken fiel ich in ein dunkles Loch. Da war Lea. Sie rief mich, lockte mich. Endlich, ich hatte es geschafft. Sie kam in mein Nest. Ich spreizte die Flügel, wollte zu ihr. Flatterte zweimal und … brach zusammen. Als ich das nächste Mal wach wurde, schaute ich in den Vollmond. Hatte ich Fieber? Wieder sackte mein Bewusstsein ab. »Ich glaube, er hat’s überstanden.« Eriks Stimme. Es gelang mir, die Augen zu öffnen. »Was hast du nur mit dem Vogel?« Eine weibliche Stimme. »Er gehört zu uns.« »Wer ist uns? Gerade beim Kampf, da warst nur du. Und der Hund.« »Genau … der Hund, der Vogel und ich. Autsch, verdammt!« 56 »Der Verband muss straff sein. Sonst verlierst du zu viel Blut.« »Ich weiß, danke. Auch für gerade. Ohne dein Eingreifen wären wir jetzt tot.« »Wahrscheinlich. Das waren keine normalen Mutanten. Diese leben eigentlich viel weiter im Süden. Sie sind nicht so tumb und unorganisiert wie ihre Artgenossen.« »Gibt es noch mehr davon?« Eriks Stimme klang gepresst. Seine Zähne knirschten, so fest biss er sie zusammen. »Jede Menge. Aber nicht hier.« »Gut zu wissen. Aber jetzt müssen wir hier weg. Die Aasfresser werden weitere Roks anlocken.« »Weit wirst du nicht kommen.« »Versuchen wir’s. Du nimmst den Vogel.« Ich fühlte, wie sich eine Hand unter meinen Rücken schob. Vorsichtig wurde ich angehoben, konnte ein schmerzvolles Fiepen aber nicht verhindern. Langsam entfernten wir uns von den toten Roks. Meine Schmerzen ließen nach. Ich konnte schon wieder an Lea denken. Die Frau trug mich in der Armbeuge. Sie blickte immer wieder zu Erik. Ich war überrascht, dass er nicht die Führung übernommen hatte. Dann fiel mir seine Verletzung ein. 57 Ich versuchte, Kontakt mit dem Hund aufzunehmen. Augenblicklich vibrierte sein Knurren durch meinen Körper. »Was willst du …?« »Was ist mit Erik? Ich kann mich kaum erinnern, was passiert ist.« »Könnte ich auch nicht, wenn ich aus der Luft gefallen wär’.« »Sehr witzig.« »Ein vergifteter Pfeil hat Erik erwischt. Die Frau hat ihm geholfen.« »Wer ist sie?« »Erik nannte sie Giada. Ohne sie hätten wir es vielleicht nicht geschafft.« Inzwischen konnte ich problemlos mit Odin kommunizieren; das heißt, wenn wir nah beieinander und nicht abgelenkt waren. Ich schaute zu der Frau auf. Menschen hätten sie schön genannt. Ihre schwarzen Haare kitzelten an meinem Kopf. Ihre braunen Augen blickten konzentriert geradeaus. Ihr Tempo war gebremst. Ihr Körper vibrierte förmlich vor Spannung. Neben ihr hörte ich Erik gedämpft stöhnen. »Wir müssen gleich rasten. Lange hältst du nicht mehr durch.« Giada klang drängend. »Ich … muss … auf der … Spur … bleiben.« »Wenn du Rokfutter bist, bleibst du auf keiner Spur«, antwortete Giada trocken. »Du verstehst nicht.« »Erklär’s mir später.« 58 »Okay.« Ich spürte, wie Erik Odin einen Befehl schickte. Giada zuckte leicht. »Was heißt okay?«, fragte sie unsicher. »Odin sucht einen Platz, der sicher ist.« »Woher weiß er das?« »’ne Art Telepathie. Ich erzähl’s dir, wenn wir rasten.« Der Hund führte uns zu einer geschützten Lichtung. Eingerahmt von Stechpalmen und Brombeeren. Giada legte mich im Moos ab und entfachte ein kleines Feuer. Erik ließ sich auf den Boden sinken. Odin sicherte das Lager. Jetzt konnte ich Giada in aller Ruhe betrachten. Ihre schlanken Muskeln wurden nur unzureichend von einer Wildledertunika bedeckt. Ein in der Scheide steckendes Schwert diagonal über den Rücken gebunden. Im Gürtel ein zweischneidiger Dolch und mehrere Wurfmesser. Sie war nur einen Kopf kleiner als Erik. Während ich sie musterte, bereitete sie aus unseren Vorräten eine kräftige Suppe. Dabei schaute sie zu mir. »Der Vogel braucht auch etwas.« Erik grinste gequält. »Odin kümmert sich darum.« Giada blickte Erik fragend an. »Soll der Hund den Vogel füttern? Ganz normal seid ihr nicht.« 59 »Keiner von uns ist normal. Was ist mit dir?« »Mit mir ist alles gut.« »Also springen normale Frauen in eine Horde Roks, erschlagen sie und singen dabei?« »Ja. Sei froh, dass es so ist.« Erik antwortete nicht mehr. Er war in den Schlaf entglitten. Mir fielen auch die Augen zu. Mein Flügel schmerzte. Da stupste mich eine feuchte Nase an. Ich wollte empört losfiepen, als ich die drei fetten Mäuse sah, die Odin vor mir fallen gelassen hatte. Ich schaute zu ihm hoch. Seine Augen flackerten belustigt. »Kein Problem«, hörte ich in meinem Kopf. »Danke«, antwortete ich. Die Verbindung klappte immer besser. Giada beobachtete uns verwundert. Egal, ich verschlang die Mäuse und versuchte zu schlafen. Odin verschwand im Unterholz.

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